Es ist heiß, als ich aus der S-Bahn steige in Frankfurt Süd. Nur nicht zu lange brauchen bis zum Atelier Goldstein. An der Straße ist es laut. Ich muss die Augen schließen als ich an einer Baustelle vorübergehe.
Schweiß vermischt sich mit Staub, Lärm und Hektik. Zu allem Überfluss auch noch dieser Heuschnupfen…
Nach einigen Minuten erreiche ich das Atelier Goldstein über einen Hintereingang im Grünen. Freundliche Gesichter empfangen mich, und ich befinde mich in einer anderen Welt.
Hinter den dicken Steinwänden des alten Gebäudes ist es angenehm kühl. Kaspar zeigt gerade einem Journalisten das Atelier, ich schließe mich an.
Zunächst begegnen wir Perihan Arpacilar. Sie zeigt uns Holzschnitte, große, farbige Portraits, sehr ausdrucksstark. Ruhig und bescheiden dagegen stellt die Künstlerin selbst einige Arbeiten vor.
Nur ein paar Meter weiter sitzt Julius Bockelt, ein wenig vornüber gebeugt am Tisch, und zieht Linie um Linie. Eine schier endlose Anzahl an Linien. “Alles ohne Lineal!” sagt er, lächelt, und zeigt mir einige fertige Blätter, gesammelt in einer kleinen Plastikschale.
Blätter unterschiedlicher Formate und Größen finden sich hier, auf denen Julius akkurat Linien gezogen hat. Linien die mit anderen Linien zusammen wirken. Aus der scheinbaren Gleichförmigkeit entsteht plötzlich mehr.
Die Linien werden zu Mustern, arbeiten mit und gegeneinander, und fangen mitunter derart an zu flirren unter den Augen des Betrachters, dass der Blick dem kaum standhalten kann. Gerade entstehen neue Blätter.
Die analoge Wiedergabe eines digitalen Zeitmessers. Jede Minute eines Tages soll festgehalten werden. In stunden- und tagelanger Geduldsarbeit entsteht unter wachen Augen die zeitlose Ewigkeit eines vollen, immer neuen Tages.
Ich betrete den Nebenraum, der mich mit zahlreichen neuen Eindrücken empfängt. Drei Künstler sind hier gerade am Arbeiten, an den Wänden hängen Bilder, auf dem Boden liegt noch ein ganz frisches.
Dahinter, in der Zimmerecke, findet sich ein Schreibtisch mit filigranen Papierarbeiten, die an die Arbeiten des Streetartkünstlers Swoon erinnern.
Markus Schmitz aber überschreitet die Ebene des Gegenständlichen, das Muster gewinnt, und zieht einen umso stärker in den Bann. Der aufmerksame Betrachter wird hier selbst zum Künstler, zum Erschaffer neuer Welten.
Bereits jetzt habe ich mehr eindrucksvolle Arbeiten gesehen als bei so manchem Museumsbesuch. Der Journalist zieht einen Kaffee vor, doch meine private Führung ist noch nicht beendet. Wir kehren zurück ins Erdgeschoss.
Plötzlich finde ich mich in einer Filmkulisse wieder, jenseits des Mondes. Die Erde so wie wir sie kennen haben wir hier hinter uns gelassen. Um uns, über uns, stehen und schweben Flugzeuge und Raumschiffe wie von fernen Planeten.
Ganz aus grauer, gewöhnlicher Pappe geknickt, erschafft Hans-Joerg Georgi ganz und gar Ungewöhnliches. Und nicht genug damit, dass die mitunter mehrgeschossigen futuristischen Flughäuser an sich eindrucksvoll genug sind.
Zu jedem der Kunststücke gibt es eine Geschichte zu erzählen, die Hollywoodfantastereien sicher in nichts nachsteht. An alles ist hierbei gedacht.
So ist der Künstler nicht nur nicht verlegen darum darzulegen in welchem “geschichtlichen” Kontext sich jedes einzelne Flugobjekt befindet, er kann dem neugierigen Zuhörer außerdem erzählen was sich hinter jedem einzelnen der hunderten von Fenstern seiner Kunstobjekte befindet.
Ein toller Abschluss, denke ich mir, und folge Kaspar über den Hof. Die Arbeiten von Julia Krause-Harder möchte er mir noch zeigen. Ihre große Leidenschaft gilt Dinosauriern, so viel weiß ich bereits, bevor wir den Raum betreten.
Die Künstlerin ist gerade dabei, einem großen Dinosaurier Kabelbinder anzulegen, und lässt sich von uns auch erst mal weiter nicht beirren. Zu sehen gibt es hier auch so zunächst genug.
Genau so sähe wohl das Senckenbergmuseum aus, wenn es ein Museum für Moderne Kunst wäre, denke ich mir. Ohne die Arten benennen zu können, erkenne ich zweifelsfrei die bekannteren der Vorzeitriesen aus den Was-ist-Was-Büchern wieder.
Ein standfestes Metallgerüst der Giganten dient Julia Krause-Harder als Grundlage, das dann mit verschiedensten Materialien vollendet wird. Zum Einsatz kommen Trommeln biegsamen Metalls, Kabelbinder, Tape, Plastikfolie, Nadel, Faden, Stoffe, Unmengen von Schnellheftern für einen Pterodactylos. (Wieso kann ich mich an diesen Namen noch erinnern?)
Für einen der größeren hat Julia Krause-Harder ihre Kassettensammlung geopfert. All diese zivilisatorischen Errungenschaften fließen hier, sinnentfremdet, wieder zurück, zu einem namen- und zwecklosen Ursprung, einer reinen Form. Einer Höhlenmalerei, die von der Zivilisation zeugt, von babylonischen Konsumwelten.
Hätte ich hierfür genügend Platz, ich würde nicht ohne einen der Riesen im Gepäck die Rückreise antreten wollen. Im Senckenbergmuseum, dem Naturkundemuseum in Frankfurt, ist Julia Krause-Harder natürlich Stammgast. Über 200 Mal war sie bereits dort.
Als ich in den warmen Tag hinaustrete, nehme ich einen riesigen Koffer voller neuer inspirierender Eindrücke mit. Danke!
Auf der Webseite findet man alle aktuellen Veranstaltungen des Atelier Goldstein: http://www.atelier-goldstein.de
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